INTERNATIONAL ASSOCIATION OF PAPER HISTORIANS
INTERNATIONALE ARBEITSGEMEINSCHAFT DER PAPIERHISTORIKER
ASSOCIATION INTERNATIONALE DES HISTORIENS DU PAPIER


Dieter Pothmann

Zu den Anfängen des Papiers

Impressionen von der IPH-China-Expedition

vom 11.04.1999 - 01.05.1999

Es war während des Kongresses der Internationalen Arbeitsgemeinschaft der Papierhistoriker (IPH) im Herbst 1998 in Portugal, als Elaine Koretsky ihren Plan bekannt gab und mit Lichtbildern untermauerte, im April 1999 eine „Expedition" nach China durchzuführen. Besucht werden sollten außerhalb der normalen touristischen Routen Orte, in denen vielleicht schon vor den Zeiten Cai Lun’s und auch heute noch auf alte Weise Papier von Hand hergestellt wurde beziehungsweise wird. Aber auch die wichtigsten touristischen Ziele sollten aufgesucht werden. Spontan beschlossen meine Frau Ine und ich, an der Expedition teilzunehmen.

Elaine Koretsky leitet das Forschungsinstitut für Papiergeschichte „Carriage House" in Brookline MA (USA), welches eine Handpapiermacherei und ein Museum zur Papiergeschichte beinhaltet. Ihr Mann Sidney (78 Jahre alt) hat es sich zur Aufgabe gemacht, alte handwerkliche Techniken der Papierherstellung vor allem in China und den Ländern Südostasiens (Burma, Thailand) per Foto und Video zu dokumentieren.

Um die Orte der alten Papiermacherei herauszufinden, besuchen Elaine und Sidney Papier- und Buchläden in den Städten. Finden sie dort handgemachtes Papier, verfolgen sie dessen Weg rückwärts bis zur Erzeugungsstätte, die sie dann besuchen.

Auf diese Weise gefundene Erzeugungsstätten wurden nun im Zuge der China-Expedition aufgesucht.

Elaine und Sidney haben aber auch Kontakte zu den dortigen Wissenschaftlern, Archäologen und Historikern geknüpft. Diese Kontakte führten zu besonders interessanten Höhepunkten der Reise.

Der folgende Bericht gilt hauptsächlich dem papierfachlichen Teil der Reise.

Für die Übertragung der chinesischen Namen in unsere Schreibweise bediene ich mich des „Pinyin". Danach wird der uns Papiermachern bekannte Name Tsai Lun in Pinyin „Cai Lun" geschrieben.


Bild 1

Treffpunkt der 14 Reiseteilnehmer war Shanghai. Von dort ging es per Flugzeug nach Xi’an, dann nach Lanzhou und schließlich nach Beijing (Peking), wo sich ein Teil der Reiseteilnehmer verabschiedete, aber auch einige neu hinzukamen. In der dritten, der letzten Woche fuhr die Reisegruppe per Bus von Kunming aus in den Norden der Provinz Yunnan. Hier eine Karte, die die Reiseroute zeigt (Bild 1)

Während des ersten Reiseteils (von Shanghai bis Beijing) begleitete uns als Reiseleiterin „Jennifer" Hu Nai Qin, General Manager des Beijing Tourism College Travel Service.

 

Shanghai

Die Reisegruppe traf sich teilweise schon am 10.04. abends in Shanghai. Auch meine Frau und ich kamen schon an diesem Abend an, so daß wir einen Zusatztag dort hatten.

Shanghai überwältigte uns durch seine Größe (13 Millionen Einwohner) und seine Modernität. Wolkenkratzer überwuchern die alte Stadt. Elegant die Hochhäuser im Stadtteil Pudong. Ein Stück des alten China ist sorgfältig restauriert, wie das Stadtviertel am Yuyuan-Markt.



Bild 2

Zum ersten Mal sahen wir gegenüber eines alten Tempels einen Kiosk, in dem Räucherstäbchen, aber auch handgeschöpftes Papier, verkauft wurden, bestimmt dazu, als Opfergabe im Tempel verbrannt zu werden (Bild 2).

Am letzten Vormittag (13.04.) unseres Shanghai-Aufenthaltes besuchten wir das erst im Jahr zuvor eröffnete wunderschöne Shanghai-Museum, wo wir zunächst einen Blick „hinter die Kulisssen" tun durften. Im Restaurationssaal sahen wir, wie alte Kalligraphien auf Seide und auf Papier instandgesetzt und konserviert wurden.

Unser erster Besuch im öffentlichen Teil des Museums galt den alten Schriften (Kalligraphien), die sich auf Knochen und Schildkrötenpanzern, dann auf Bambusstäbchen, später auf Seide und schließlich auf Papier befanden. Aber auch die anderen Ausstellungsstücke (Keramik, Bronze, Eisen, ...) zogen unsere Aufmerksamkeit auf sich.

Den Abschluß unseres Shanghai-Besuches bildete ein Besuch in einem Paper-store, in dem es neben Anderem auch Handpapier und alte Bücher zu kaufen gab. Leider unterlagen die alten Bücher einem Exportverbot - sonst hätten wir gern ein paar Exemplare mitgenommen.

Am Nachmittag dieses Tages flogen wir nach Xi’an.

 

Xi’an

Xi’an war als Chang’an einst kultureller Mittelpunkt Chinas. Es liegt am östlichen Ende der Seidenstraße, die als alter Handelsweg China mit Süd- und Vorderasien und damit mit Europa verband. Gleichzeitig liegt es am westlichen Ende der fruchtbaren Ebene des Gelben Flußes Huang He, am Weifluß nicht weit oberhalb von dessen Mündung in den Gelben Fluß.

Der erste geschichtlich nachweisbare Kaiser von Gesamtchina Qin Shi Huangdi erkor im 3. Jahrhundert vor Christus einen Ort nahe Xi’an zu seiner Hauptstadt. Es ist dies der Kaiser, der zur

Bewachung seines Grabes die berühmte Terrakotta-Armee aufstellen ließ. Xi’an war während der anschließenden Zeit der „Westlichen Han" (206 v.Chr. - 8 n.Chr.) chinesische Hauptstadt.

Zur folgenden Zeit der „Östlichen Han" (25 - 220 n.Chr.) war dann das nur 400 km östlich am Gelben Fluß gelegene Luoyang Hauptstadt, wo Cai Lun, der angebliche Erfinder des Papiers, am kaiserlichen Hof lebte.

Nun ist Xi’an Hauptstadt der Provinz Shaanxi.



Bild 3

Wie ich bereits aus der Literatur wußte, wird im Shaanxi-Provinzmuseum ein Stück Papier ausgestellt, welches man auf die Zeit der Westlichen Han, genauer auf die Zeit 140 - 87 v.Chr., also auf die Zeit vor Cai Lun, datiert. Diesem Papier galt am 14.04. unser Besuch. Da es sich unter Glas befindet und somit nicht reflexfrei zu fotografieren ist, fotografierte ich eine Reproduktion, die ebenfalls im Museum ausgestellt ist (Bild 3). Aus der Erinnerung möchte ich sagen, daß das Original etwa 10 cm groß ist.

Das Papierstückchen hatte man in einem Grab in Baqaio nahe Xi’an hinter einem Bronzespiegel gefunden. Lange Zeit war umstritten, ob es sich um ein von Menschen hergestelltes Papier handelt oder nur um eine zufällig entstandene und durch Feuchtigkeit und Druck verfestigte Faseransammlung.

Als nächstes besuchten wir das Stelenwaldmuseum. Dort sind etwa 2300 Stelen aufgestellt, die ältesten aus dem Jahr 175 n.Chr. mit Texten der konfuzianischen Klassiker. Sie stammten aus der kaiserlichen Akademie in Luoyang.

Stelen sind Steintafeln, auf denen wichtige Schriften für die Nachwelt erhalten wurden. Noch heute werden diese Schriften durch Abreiben auf handgeschöpftes Papier übertragen; man kann diese Abreibungen als Andenken käuflich erwerben.



Bild 4

Am 15. und 17. April besuchten wir - jeweils morgens - das eigens für die IPH organisierte wissenschaftlich-papierhistorische Symposium an der Lehreruniversität von Xi’an. Es war seitens der Chinesen hochrangig besetzt mit Wissenschaftlern aus Beijing, Lanzhou und Xi’an.

Am 15.04. fand die Eröffnungszeremonie statt (Bild 4), die sogar vom Fernsehen (Sender QQQ1) aufgezeichnet und am Abend ausgesendet wurde. Auch die Presse berichtete.

Zur Eröffnung sprachen Vertreter der Provinz-Verwaltung - Provinzen in China sind vermutlich mit den deutschen Bundesländern zu vergleichen, wenn auch mit weniger Kompetenzen-, der kommunistischen Partei und der Papierindustrie. In unseren Augen war es interessant, daß allein die Ansprache des Parteivertreters nicht ins Englische übersetzt wurde mit dem Bemerken, diese Ansprache sei zu lang.

Der Nachmittag wurde mit einem Ausflug in das Dorf Bei Zhang, etwa 30 km südlich von Xi’an in der Ebene gelegen, ausgefüllt. Wiederum wurden wir vom Fernsehen begleitet - für die Dorfbewohner eine doppelte Sensation: Ein reichliches Dutzend westlicher Ausländer und dazu noch das Fernsehen; wann haben sie so etwas schon erlebt? Uns leitete Herr Li Fang, Generalsekretär des Paper-making Profession Committee of Public Relations Association der Provinz Shaanxi.

Der erste Besuch in Bei Zhang galt dem Elternhaus von Herrn Li - Herr Li entstammt einer Papiermacherfamilie in Bei Zhang. Begrüßt wurden wir von einem 90 Jahre alten Papiermacher, einem Verwandten von Herrn Li; doch leider war dessen Papiermühle stillgelegt, so daß wir nur noch die im Boden des Hofes eingelassene Schöpfbütte sehen konnten. Doch konnten wir im gleichen Dorf einen Papiermacher besuchen, der noch Papier schöpfte - braunes „Frühjahrspapier" und weißes „Herbstpapier", hergestellt jeweils aus Fasern, die der inneren Rindenschicht des Maulbeerbaumes entstammten. Wir konnten sehen, wie die wahrscheinlich vorher gekochten Rindenstränge durch Stampfen gemahlen wurden, wie die gemahlenen Rindenstränge zerhackt wurden, wie geschöpft wurde, wie danach das Wasser ausgepreßt wurde, und wie die Blätter an der Hauswand trockneten. Interessant für uns war, daß das Schöpfsieb - eine Bambusmatte - nicht fest mit dem Siebrahmen verbunden, sondern als rollbare Matte in den Rahmen eingelegt war. Zum Abgautschen des geschöpften Bogens wurde das Sieb aus dem Rahmen genommen und direkt, also ohne daß Filze zwischengelegt wurden, auf den Stapel der vorher gebildeten Bögen aufgedrückt. Daß die Bögen beim anschließenden Pressen nicht zusammenklebten, ist nach Literaturangeben einem Pflanzenextrakt zu verdanken, der dem Faserstoff beigemischt ist. Meiner Meinung nach ist es aber auch der langfaserige Charakter des Faserstoffs, der einem aneinander Haften der Bögen entgegenwirkt.



Bild 5


     
Bilder 6 und 7

Am nächsten Tag starteten wir bereits um 7,30 Uhr zu einer atemberaubenden Fahrt ins Gebirge südlich Xi’an. Das Mittagessen nahmen wir in einem Hotel der Kleinstadt Za Shui ein; es schmeckte dort wesentlich würziger als in den Touristenzentren. Um 15,30 Uhr kamen wir schließlich im Dorf Feng Zheng Nr.3 an, wo wir 2 Papiermacherhöfe besuchten. Was wir dort sahen, entsprach etwa dem des Vortages. Hier ein Bild einer Stampfe zum Aufbereiten des Rohstoffs Mausbeerbaumrinde (Bild 5) und ein Bild mit an einer Hauswand trocknendem Papier (Bild 6). Bild 7 schließlich zeigt Elaine Koretsky beim Einkauf von Papier.

Anschließend fuhren wir zum Dorf Nr.6, wo sich eine größere Papiermühle befand. Schon von der Straße her sahen wir das für unsere Verhältnisse kleine Wasserrad, welches 2 Stampfhämmer antrieb. Es war übrigens das einzige Wasserrad zum Antrieb einer Mühle, das wir auf unserer Reise sahen. Zum Unterschied zu dem bisher Gesehenen wurde hier Bambus verarbeitet, und es handelte sich um einen größeren Betrieb mit 5 oder 6 Bütten. Wir sahen, wie der Bambus mit Kalkstein imprägniert und gekocht und wie er anschließend gestampft wurde. Leider wurde gerade an keiner Bütte geschöpft. An der Hauswand hing ein Büschel Wurzeln von Yang Tao; hieraus wird durch Kochen mit Alaun der Extrakt gewonnen, der - dem Faserstoff zugesetzt - das Entwässerungsverhalten begünstigen und das nach dem Pressen erfolgende Abtrennen der Bögen erleichtern soll.

Erst gegen Mitternacht kamen wir wieder in unser Hotel in Xi’an zurück.

Der nächste Morgen (Samstag, 17.04.) sah uns wieder in der Universität von Xi’an. Dort wurde uns in 6 Vorträgen die Frühgeschichte des Papiers vorgestellt, wie sie von den heutigen Forschern gesehen wird.

Uns Europäern ist bekannt, daß Cai Lun das Papier etwa im Jahre 105 nach Christi Geburt, also zur Zeit der östlichen Han, erfunden hat. Die Frage ist aber: Gab es vorher schon Papier? Und welches sind die Leistungen des kaiserlichen Hofbeamten Cai Lun?

Während des Symposiums wurden verschiedene Papiere erwähnt, die man vornehmlich an der Seidenstraße gefunden hat und auf die Zeit der westlichen Han (206 v.Chr. - 8 n.Chr.), also auf die Zeit vor Cai Lun, zurückführt, und die aus pflanzlichen Fasern bestehen.

Die Seidenstraße (eine Karawanenstraße) verband China über Zentralasien mit Vorderasien; sie war eine bedeutende Handelsstraße. Sie begann in Chang’an, dem heutigen Xi’an, welches dadurch ein kultureller Mittelpunkt Chinas war. So wurde die These vertreten, daß die Gegend um Xi’an und am östlichen Ende der Seidenstraße das Ursprungsland des Papiers ist.

Für mich erstaunlich ist, daß man überhaupt so altes Papier finden konnte - in Anbetracht seiner Verrottbarkeit. Jedenfalls ist die Wahrscheinlichkeit des Verrottens im trockenen Gebiet der Seidenstraße meines Erachtens geringer als in den fruchtbaren und dabei feuchteren Flußniederungen.

Möglich ist, daß man bei der Herstellung der Seide auf die Idee des Papierschöpfens kam. Beim Kochen der Cocons schwimmen nämlich Seidenfasern auf, die man abschöpfte. Allerdings haben die sich dabei bildenden Blätter keine Festigkeit, da Seidenfasern untereinander keine Bindekräfte entwickeln. - Jedenfalls hat man aus der Zeit der westlichen Han stammende Seidenfaserblätter gefunden.

Ein Vortragender zitierte ein altes Lied, nach dessen Inhalt ein Gebirgsfluß Pflanzenfasern mit sich führte. Seine Wellen und Spritzer bewirkten, daß sich diese Fasern auf Steinen ablagerten und nach dem Antrocknen papierähnliche Schichten bildeten. Dies war dem Lied zufolge die Inspiration zur Erfindung des Papiers.

Erst nach Rückkehr aus China lernte ich den Vortrag kennen, den Herr Dr. Pichol (Westfälische Wilhelmsuniversität, Münster) während der am 12.09.1998 stattgefundenen Tagung der Georg Agricola Gesellschaft gehalten hatte. Diese Tagung hatte zeitgleich mit dem IPH-Kongress in Portugal stattgefunden, so daß ich nicht an ihr teilnehmen konnte.

Dr.Pichol ging von dem Gedanken aus, daß man als Ersatz für Seide als Beschreibstoff andere Gewebe, z.B. Gewebe aus Hanf, auf ihre Beschreibbarkeit hin untersuchte. Da solche Gewebe sich als zu grob erwiesen, versuchte man, sie zu glätten, wobei es zu Faserablösungen kam. Da Wasser mit im Spiel war, bildeten sich papierähnliche Schichten. Aus den entsprechenden Beobachtungen entwickelte man dann die Technik des Papierherstellens.- Ich bin Herrn Pichol dankbar, daß er mir das Manuskript seiner Veröffentlichung vorab überließ.

Das Verdienst Cai Lun’s ist es, beim Experimentieren mit Papier wesentliche Verbesserungen eingeführt und als kaiserlicher Hofbeamter für eine weitverbreitete Anwendung des Papiers gesorgt zu haben. „Cai Lun erfand die Technik des Papiermachens nach Summierung der Erfahrungen, die die Leute vor ihm gemacht haben."

 

Im Zusammenhang mit dieser Vortragsreihe wurde die Frage angeschnitten, wie Papier zu definieren ist. Hiervon hängt nämlich ab, ob bestimmte Fundstücke als Papier anzusehen sind oder nicht.

Einer der chinesischen Wissenschaftler schlug folgende Definition vor: „Papier besteht aus Fasern, die gemahlen sind". Wahrscheinlich verstand er unter dem Begriff „Fasern" pflanzliche Fasern, da nichtpflanzliche Fasern zu mahlen sinnlos ist.

Eine umfangreichere Definition schlug Sidney Koretsky vor: Papier besteht aus pflanzlichen Fasern, die zur Herstellung von Papier mit Wasser gemischt werden; die Blattbildung geschieht auf einem Sieb, die Festigkeit beruht auf der Wasserstoffbrückenbindung.- Mit dem Wort „Wasserstoffbrückenbindung" bezeichnet man die sich zwischen den Fasern durch die Einwirkung von Wasser beim Trocknen bildende Bindung. Sie tritt nur bei pflanzlichen Fasern ein, deren Hauptbestandteil - chemisch gesehen - Cellulose ist.

Wenn ich einen Vorschlag zu machen hätte, sähe er, wie folgt, aus: „Papier besteht aus Pflanzenfasern, die wirr und im Wesentlichen flächig angeordnet sind. Die Fasern haften aneinander vorwiegend durch Bindungskräfte, die aus dem Zusammenwirken der OH-Gruppen der pflanzlichen Cellulose und Wasser beim Trocknen entstehen (Man nennt diese Bindung „Wasserstoffbrückenbindung")". Eventuell kann man noch anführen, daß die Formation des Papiers durch Abfiltern der Fasern aus der wässrigen Suspension mittels eines Siebes erfolgt.

Ein Diskussionspunkt in Xi’an war, ob auch der Zweck, zu dem das Papier hergestellt wurde, in die Definition gehört.

Alles das, was in Xi’an zu den verschiedenen Themen berichtet und diskutiert wurde, ist nicht unumstritten. Dies zeigte uns ein heftiger Disput, der unter den chinesischen Professoren ausbrach. Leider verstanden wir kein Wort, so daß wir auch nicht wissen, worum es bei diesem Disput ging.



Bild 8

Seitens unserer Reisegruppe wurden 3 Vorträge gehalten, wobei jeder Vortragende über sein persönliches Arbeitsgebiet sprach. Dabei stieß der Vortrag von Martin Cuppen über Wasserzeichen in Europa auf das besondere Interesse der Chinesen. Wasserzeichen (außer Siebmarkierungen) sind den dortigen Papierhistorikern nicht geläufig, da die Schöpfsiebe in China - soweit wir sie kennen lernten - das Anbringen der entsprechenden Formen nicht zulassen. Die Siebe bestehen nicht - wie in Europa - aus Metall und sind auch nicht starr mit dem Siebrahmen verbunden, sie bestehen vielmehr aus rollbaren Bambusmatten, die lose auf dem Siebrahmen liegen (Bild 8).

Bevor wir schließlich am 19.04. Xi’an verließen, besuchten wir Frau Tian Hui Lin und ihren Mann Herrn Wang Shui Zhang. Frau Tian hatte in der Nähe des Glockenturms einen Papierladen besessen, der anscheinend der Stadterneuerung zum Opfer gefallen ist. So verwahrte sie ihre Schätze in der Dreizimmerwohnung (3 Zimmer einschließlich Küche), die sie und ihr Mann auch noch bewohnten. In drangvoller Enge bewunderten wir die Schätze, und mancher Packen handgemachter Papiere, aber auch Kalligraphien und Bilder, wechselten die Besitzer.

Nach dem Mittagessen, welches wir am Flughafen einnahmen, flogen wir zu unserer nächsten Station Lanzhou, das wir am Nachmittag erreichten.

 

Lanzhou

Der Flughafen von Lanzhou liegt ziemlich weit außerhalb, und auf der Busfahrt durch die karste Landschaft sahen wir nicht nur wunderschön blühende Obstbäume, sondern - auch als Relikte ferner Zeiten - uralte Keramikwerkstätten, die wir auf dem späteren Rückweg photographierten.



Bild 9

Lanzhou liegt am Gelben Fluß unweit der Stelle, wo die Seidenstraße ihn überquerte, und ist heute eine Industriestadt ohne direkte Sehenswürdigkeiten. Was uns dort interessierte, war das dem Gansu-Provinz-Museum zugehörende Institut für Papierforschung, wo uns letzte Papierfunde aus der Zeit der westlichen Han (206 v.Chr. - 8 n.Chr.) vorgeführt wurden (Bild 9).

Es gab eine ganze Menge kleiner Papierstückchen, und die spektakulärsten waren zwischen zusammengeklebten Glasplatten eingesperrt, so daß wir sie hochheben und auf Siebmarkierungen untersuchen konnten. Wie wir dabei festzustellen glaubten, wiesen die älteren der Papiere keine Siebmarkierung auf. Diese Papiere sind also vor der Einführung des Siebes aus Bambusstäben - eventuell mit einem Sieb aus Seide oder ohne Sieb - hergestellt worden.

Da die Arbeiten über diese Papierfunde noch nicht veröffentlicht sind, wurden wir gebeten, nicht zu photographieren.

In diesem Institut erfuhren wir auch etwas darüber, wie die Archäologen ihre Funde datieren.

Bei den Ausgrabungen wird Schicht um Schicht freigelegt, und jede Schicht wird an Fundstücken bekannter Art datiert. Fundstücke unbekannter Art, wie zum Beispiel die hier vorgeführten Papiere, werden dann der Fundschicht entsprechend datiert. Dabei wird angenommen, daß ein Fundstück nicht in eine tiefere, das heißt ältere Schicht gelangen kann, als es seiner Herstellung entspricht.

Am 21.04. starteten wir dann zur letzten Station des ersten Reiseteils, nach Beijing (Peking).

 

Beijing (Peking)

Wir kamen dort am späten Nachmittag an, gerade noch rechtzeitig, um vor dem Abendessen im Antiquitätenviertel Liulichang einen Buch- und Papierladen aufsuchen zu können, ähnlich dem in Shanghai besuchten.

Für Beijing war dann eine Zeit von nur zwei Tagen (3 Übernachtungen) vorgesehen; davon war der Vormittag des ersten Tages für einen Besuch des Pulp and Paper Industrial Research Institute of China verplant. In Anbetracht der nur kurzen Zeit schwänzten meine Frau, „Bert" Elen und ich diesen Besuch und spazierten stattdessen durch den Beihai-Park, wobei es leider zu regnen begann.

Durch das Schwänzen verpaßten wir den Vortrag von Frau Wang Ju Hua, Senior Engineer des Pulp and Paper Institute. Frau Wang bezweifelte, daß die Papiere, die wir in Lanzhou gesehen hatten, richtig datiert seien. Es sei nämlich unmöglich, auf Grund der Erdschichten, in denen Funde ausgegraben werden, zwischen Funden aus der Zeit der westlichen und der östlichen Han (206 v.Chr.- 8 n.Chr. beziehungsweise 24 - 220 n.Chr.) zu unterscheiden.

Es folgte ein Kurzdurchgang durch das übliche Touristikprogramm, am ersten Tag nachmittags zur „Verbotenen Stadt" und zum Himmelstempel, am zweiten Tag vormittags zur „Großen Mauer" und zum „Heiligen Weg" der Minggräber und nachmittags zum Sommerpalast. Wie gern hätten wir für diese herrlichen Bauwerke mehr Zeit gehabt!

Am 24.04. flogen wir nach Kunming, der Hauptstadt der Provinz Yunnan. Dort begann der zweite Abschnitt beziehungsweise die dritte Woche der IPH-Expedition - eine Woche, die wir nie vergessen werden.

 

Provinz Yunnan

Die Provinz Yunnan liegt im „Südwesten" Chinas, im Süden und Westen von Burma begrenzt. Der Teil der Provinz, den wir bereisten, wird geprägt von breiten fruchtbaren Flußtälern in 1980 m (Kunming) bis 2600 m (Lijiang) Seehöhe, umrahmt von Bergen, die (westlich von Dali) 5500 m Höhe erreichen.

Von Kunming ging’s am 25.04. über gut ausgebaute Straßen (teilweise Autobahn) nach Dali, etwa 400 km westnordwestwärts von Kunming. Beeindruckend war, an dieser Straße Entfernungsangaben von 3000 und mehr km zu finden.

Uns begleitete Xiao Cheng, Associate Professor am Kunming Institute of Botany Academia Sinica.

Nach einer Übernachtung in Dali ging es weiter nach Heqing oder Yunhe. Diese Fahrt wurde durch einen Abstecher in das Dorf Dadian unterbrochen; der Bus fuhr zwischen Feldern und musste über Schotterstraßen atemberaubende Gebirgspässe überwinden.

In Dadian wohnt ein Papiermacher, der aus Maulbeerbaumrinde mit einem Zusatz von Altpapierspänen hochfeines Papier herstellt, welches für Kalligraphien bestimmt ist. Leider konnten wir den Schöpfvorgang nicht sehen. Aus Wassermangel (es hatte über 1 Jahr lang nicht geregnet) mußte der Papiermacher zum Schöpfen seinen Hof verlassen und an den Bach im Tal wandern, etwa 1 Stunde vom Dorf entfernt.



Bild 10

Wir sahen die Stampfe, die nicht benutzte Bütte und die Presse sowie den Ofen zum Trocknen des Papiers (Bild 10). Hier in Dadian wurde das Papier nämlich an der Wand eines gemauerten Ofens getrocknet, der von innen mit Feuer beheizt wurde.

In Yunhe beziehungsweise Heqing-Stadt blieben wir zwei Nächte, und bei unseren abendlichen Streifzügen entdeckten wir einen Kiosk, bei dem wir einige Bogen handgemachtes Papier für 5 Yuan (= ca.1-1,25 DM) kauften.

Der Tag in Yunhe wurde für einen Ausflug in das Dorf Longzhou genutzt. Dafür ging es zunächst mit unserem Bus zu der Stelle zurück, an der die Schotterstraße nach Dadian beginnt. Dort wartete ein Kleinlastwagen auf uns. Auf dessen Ladefläche stehend legten wir in einer knappen Stunde die 8 km zurück, die uns noch von Longzhou trennten. Der Weg war unbefestigt, und im Weg befindliche Steine und Erosionsgräben zwangen uns, die Kniee als elastische Federn einzusetzen. Dazu kamen abenteuerliche Landschaften, talwärts direkt neben der Straße senkrecht abfallend.

Doch wurden wir in Longzhou für diese Strapazen belohnt.


     
Bilder 11 und 12

Nachdem wir vor dem Dorf eine stillgelegte Papiermacherwerkstatt passiert hatten, erwartete uns im Dorf eine Werkstatt mit 7 Schöpfbütten, von denen 5 „in Betrieb" waren. Verarbeitet wurde dort Bambus, und wir konnten jede Verarbeitungsstufe sehen vom Imprägnieren und Kochen mit Kalkstein (Bild 11), Waschen, Mahlen (Bild 12), Schöpfen (Bild 13), Entwässern (Pressen), Separieren der gepreßten Bögen und Trocknen, diesmal auf einem Trockenboden (Bild 14). Auch hier wurde zur Verbesserung der Entwässerbarkeit ein Extrakt eingesetzt, der aus einer Wurzel durch Kochen mit Alaun gewonnen wird.


     
Bilder 13 und 14

Die Tagesleistung eines Schöpfers wurde uns in Longzhou mit 3000 Bogen angegeben.

Longzhou bildete für den papiermacherischen Teil der Reise zweifellos den Höhepunkt und zugleich den Abschluß, doch standen uns noch ein paar Tage „Touristik" bevor.

Ausdrücklich erwähnen möchte ich, daß wir durch die Busfahrten über Land näher an das Leben der Chinesen gekommen sind, als es sonst für Touristen möglich ist. So konnten wir beobachten, wie das Getreide geerntet und wie die getrockneten Garben zur Korngewinnung auf dem Boden ausgeschlagen wurden. Wir konnten beobachten, wie die Felder durch Hacken, selten durch Pflügen für die nächste Bestellung vorbereitet wurden, und wie der Reis von den Saatfeldern auf die endgültigen Felder gepflanzt wurde. Im Vorüberfahren sahen wir Keramikwerkstätten und Brennöfen für Ziegel. Wir besuchten eine Seidenspinnerei (Monatsverdienst einer Spinnmaschinen-Bedienerin 700 Yuan [= ca. 150-175 DM]).

Wir sahen, wie die Maulbeerbäume wachsen, deren Blätter für die Aufzucht der Seidenraupen benutzt werden.

Wir besichtigten eine Indigo-Färberei für Baumwollstoffe. Interessant war zu sehen, wie Stickerinnen die Stellen der Stoffe zusammenrafften, die beim Färben weiß bleiben und so das Muster ergeben sollten.

Endpunkt der Reise war das Städtchen Lijiang, dessen Altstadt von der UNESCO als Weltkulturerbe eingestuft worden ist.

Auf dem Rückweg übernachteten wir noch einmal in Dali, von wo aus die meisten Expeditionsteilnehmer nach Kunming flogen. Meine Frau Ine und ich sowie 2 weitere Teilnehmer bevorzugten die Rückreise mit unserem Bus, um die schöne Landschaft noch einmal zu genießen. Dabei genossen wir aber auch in einer Autobahnraststätte die köstlichste Ente, die wir auf der ganzen Reise zu essen bekamen. Das ganze Mittagessen für uns 6 Personen (4 Reiseteilnehmer, der Reiseleiter und der Busfahrer) kostete insgesamt 85 Yuan (= ca.20 DM), bestehend aus der Ente, 6 Schüsseln, wie wir sie in Europa aus China-Restaurants kennen, und den Getränken (Tee, Bier und Wasser).

Beeindruckend war, als sich auf der Rückfahrt nach Kunming Nebel bildete. Dabei kam es auch zu heftigen Regenfällen. Wie wir am nächsten Tag erfuhren, war in Kunming eine internationale Ackerbau- und Gartenausstellung eröffnet worden. Da die Metereologen Regen angesagt hatten, da man aber die Eröffnungszeremonie trocken halten wollte, hat man die Wolken im Umkreis von Kunming angezapft und außerhalb abregnen lassen.

Abends im Hotelzimmer erlebten wir zum Abschluß unserer Expedition ein wunderbares Feuerwerk, veranstaltet nicht für uns, sondern zur Eröffnung der bereits erwähnten Gartenausstellung. Und am folgenden Tag flogen Ine und ich nach Hua Hin am Golf von Thailand, nicht nur, um uns von den Strapazen der Expedition zu erholen, sondern auch, um unsere Eindrücke schriftlich festzuhalten, solange sie noch frisch waren. Koretsky’s blieben in China: Sie haben vor, noch Handpapiermacher ausfindig zu machen, die Hanf als Faserrohstoff einsetzen.

 

Gebrauch der handgemachten Papiere

Zum Schluß dieses Berichtes möchte ich noch erwähnen, wozu die handgemachten Papiere heutzutage gebraucht werden.

Wie aus manchen Bemerkungen des Berichtes hervorgeht, spielen die Papiere im religiösen Leben eine Rolle. Sie werden als Opfergaben verbrannt - gelb gefärbt symbolisieren sie dabei Gold. Aus einer TV-Schau, die vor unserer Reise ausgestrahlt wurde, wußten wir auch, daß aus Papier geformte Gegenstände oder Tiere symbolhaft den Ahnen als Opfer dargebracht werden.

Kalligraphien und Bilder sind häufig auf handgeschöpftes Papier gemalt. Dies gilt auch für die Abreibungen von Stelen, wie wir es in Xi’an sahen. Aber auch technischen Zwecken dienen solche Papiere. Wegen ihres Gehaltes an außerordentlich langen Fasern weisen sie eine gewisse Naßfestigkeit auf, sodaß sie für Filterzwecke geeignet sind.

 

Bemerkungen zum Schluß

Die Reise hat uns viele Erlebnisse gebracht. Sie führte uns dem Thema Papierhistorik entsprechend

zu alten Papierfunden und zu Orten, an denen heute noch Papier wie zu alten Zeiten, vielleicht sogar wie zu Zeiten Cai Lun’s hergestellt wird. Was wir sahen, entspricht so ziemlich der „Ausführliche(n) Beschreibung des Chinesischen Reiches und der grossen Tartarey" des Johann Baptista du Halde, verlegt von Johann Christian Koppe, Rostock 1748.

Natürlich gibt es in China auch industrielle Papierfabriken, auch ganz moderne. Es dürfte reizvoll sein, herauszufinden, ob es dort auch Fabriken gibt, die noch den Stand aus den Anfängen der maschinellen Papierherstellung (in Europa: 1830-1850) repräsentieren, und diese zu besuchen,

Dem Thema entsprechend kamen auf unserer Reise die „normalen" touristischen Ziele wie Tempel oder Paläste etwas zu kurz; besonders skurile Landschaften entfielen ganz. Wir empfinden dies nicht als Mangel; darüber gibt es genügend Literatur, so daß wir uns nach allem, was wir erlebt haben, darin einsehen können. Die Reisemannschaft war - dem gemeinsamen Interesse entsprechend - harmonisch zusammengesetzt und mit 12 - 14 Personen nicht zu groß.

Da die „Expedition" für uns so erlebnisreich war, haben wir uns spontan entschlossen, die nächste von Elaine Koretsky angebotene Reise mitzumachen - im Januar 2000 nach Burma und Nordthailand.

 

Dieter Pothmann, Lewitstrab e 46, D-40547, Düsseldorf

13.10.1999

 

Verzeichnis der Bilder

Nr. Titel Registrier-Nr.

1 Karte von China / Reiseroute 01.08.99.02

2 Opferfeuer im Tempel (vor der Wildgans-Pagode in Xi’an) 14.04.99.07

3 Xi’an / Provinzmuseum, Papier aus der Zeit der westlichen Han (140-87 v.Chr.) 14.04.99.20

4 Xi’an / Internationales Papierhistoriker-Symposium 15.04.99.03

5 Feng Zheng 3 / Stampfe 16.04.99.12

6 Feng Zheng 3 / Dorfansicht mit trockenem Papier (photographiert von Martin Cuppen) 16.04.99.3/4A

7 Feng Zheng 3 / Elaine Koretsky beim Papiereinkauf 16.04.99.18

.8 Chinesisches Schöpfsieb (aus Longzhou) 01.08.99.05

9 Lanzhou / Institut für Papierforschung 20.04.99.03

10 Dadian / Trockenofen 26.04.99.44

11 Longzhou / Vorbereiten des Bambus zum Kochen 27.04.99.38

12 Longzhou / Stampfen des Bambus 27.04.99.33

13 Longzhou / Schöpfen 27.04.99.25

14 Longzhou / Trocknen 27.04.99.63